KI-gestütztes Patentmonitoring bei thyssenkrupp – Erfahrungen mit der Softwarelösung

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Weiterbildungsprogramm für Führung & Management

20. Januar 2022
Gewerblicher Rechtsschutz
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Wie gelingt Patentmonitoring in der Praxis? Wie kann Künstliche Intelligenz dabei unterstützen? Und welche Aufgaben müssen Mitarbeiter dann übernehmen? Stephan Ising, Head of IP Strategy/IP Research bei der thyssenkrupp Intellectual Property GmbH, beschreibt in diesem Gastbeitrag die Erfahrungen des Unternehmens mit der Entwicklung einer eigenen Softwarelösung zum Patentmonitoring. Profitieren Sie von den praktischen Tipps des Experten!

Experte Stephan Ising

Stephan Ising

Head of IP Strategy/IP Research | thyssenkrupp Intellectual Property GmbH

Zum Profil

Einleitung

Patentmonitoring als zentrales Element des IP-Risikomanagements

Die kontinuierliche Überwachung von neu veröffentlichten Patentanmeldungen der Wettbewerber (Patentmonitoring) ist ein essenzieller Bestandteil des IP-Risikomanagements bei thyssenkrupp und ergänzt nicht nur Patentrecherchen wie zum Beispiel Neuheits- oder Freedom-to-Operate-Recherchen, sondern führt diese auch fort.

Die zentralen Ziele, im Hinblick auf Verletzungen der Schutzrechte Dritter sind:

Die Gefahr möglicher Einschränkungen durch Fremdschutzrechte frühzeitig zu erkennen

Die Ausübungsfreiheit von eigenen Produkten und Verfahren heute und in der Zukunft zu gewährleisten

Die Verschwendung von F&E Ressourcen durch „Sackgassen“ zu vermeiden

Darüber hinaus dient das Patentmonitoring auch weiteren innovationsfördernden Zwecken, wie:

Der Nutzung der Patentliteratur als Überblick über den Stand der Technik und Quelle der Inspiration für Entwickler

Der Beobachtung der F&E-Strategien unserer Wettbewerber und der Ableitung technologischer Trends

Der regelmäßigen Evaluierung der Patentportfolios unserer Wettbewerber

Zur strukturierten Durchführung des Patentmonitorings, wurde ein einheitlicher Prozess eingeführt, der die zentrale Administration der entsprechenden Patentdatenbanken durch die thyssenkrupp Intellectual Property GmbH vorsieht. Dieser Prozess wird auf die jeweiligen Bedürfnisse und Rahmenbedingungen in den einzelnen Geschäftsbereichen zugeschnitten. Eine wesentliche Funktion nimmt dabei der sogenannte IP Koordinator ein, der diesen Prozess auf Seite des Geschäftsbereiches verantwortet und damit sicherstellt, dass Ingenieure und technische Experten zur umfassenden und kontinuierlichen Bewertung der Ergebnisse aus dem IP Monitoring befähigt werden.

So viel wie nötig – so wenig wie möglich

Ein großes Dilemma im Patentmonitoring ergibt sich durch die Abfrage der Patentdatenbanken mithilfe geschäftsspezifischer Suchstrategien. Einerseits soll sichergestellt werden, dass alle wichtigen Dokumente durch eine entsprechend „breit“ formulierte Datenbankabfrage in den weiteren Prozessverlauf übergeben werden. Andererseits soll die dabei erzeugte Treffermenge entsprechend der vorhandenen Kapazitäten beherrschbar im Sinne der Bewertung bleiben. Naturgemäß treten dabei neben den gewünschten relevanten Dokumenten auch technologienahe aber fachbereichs- oder geschäftsfremde Dokumente auf, die unkritisch sind. Dies kann an einem einfachen Beispiel erläutert werden.

Beispiel:

Möchte man zum Beispiel alle Schutzrechte bezüglich Automobilstoßdämpfern mit einer Datenbankabfrage erfassen, treten üblicherweise auch Schutzrechte auf, die sich mit der Dämpfung der Kofferraumklappe von Fahrzeugen befassen. Obwohl Kofferraumdämpfer zunächst nicht von Relevanz für den Geschäftsbereich sind, würden zusätzliche Einschränkungen in der Suchstrategie das Risiko erhöhen, relevante Dokumente zu verpassen.

Seit einigen Jahren wird dieser Effekt durch den zunehmenden Einzug digitaler Technologien in die klassischen Maschinenbau-Bereiche erheblich verstärkt. Hinzu kommt auch ein gesteigertes Anmeldeverhalten in China, insbesondere im Bereich der Gebrauchsmuster, sodass die Menge der zu bewertenden Dokumente kontinuierlich ansteigt. Dies erzeugt einen nachvollziehbaren Druck bei den Ingenieuren und technischen Experten, die oftmals nur ein begrenztes Zeitkontingent für die Bewertung der Dokumente zur Verfügung haben.

Motivation für die Einführung einer KI-Software

Künstliche Intelligenz unterstützt den Prozess und hilft dabei, sich auf die relevanten Dokumente zu fokussieren

Im Zuge der digitalen Transformation der thyssenkrupp Gruppe hat die Konzerntochter TechCenter Control Technologies (TCCT) erhebliche Expertise und Ressourcen im Bereich Data Analytics aufgebaut. In verschiedenen Fallstudien konnten unterschiedliche industrielle Anwendungsfelder für digitale Technologien, wie zum Beispiel künstliche Intelligenz (KI) nachgewiesen werden. Inzwischen wurden damit eigenständige, datengetriebene Service- und Geschäftsmodelle innerhalb und außerhalb von thyssenkrupp aufgebaut.

Unsere Kollegin Dr. Sophie Wei erläutert das Grundprinzip in einem kurzen Youtube-Video:

Mit Blick auf die zunehmende Auslastung unserer Ingenieure durch das Patentmonitoring und der damit verbundenen Frage nach Unterstützung, entstand die Idee, Datenanalysetechniken zur Unterstützung des Patentbewertungsprozesses einzusetzen. Ziel dabei ist eine möglichst genaue Vorklassifizierung der neu veröffentlichten Patentdokumente nach Relevanzkategorien und Technologiebereichen durch eine KI, sodass der menschliche Bewerter idealerweise nur noch die für seinen Technologiebereich relevanten Dokumente vorgelegt bekommt.

Um die Anwendung der Datenanalysetechniken auf Patentdaten im Rahmen einer Machbarkeitsstudie zu untersuchen, sind schließlich alle Voraussetzungen erfüllt. Es besteht ein konkreter Anwendungsfall, der Kapazitäten bindet und nach erfolgreicher Implementierung eine hohe Effizienzsteigerung erwarten lässt. Außerdem ist bereits eine große Menge klassifizierter Daten verfügbar, da nach einigen Jahren konsequenter Durchführung des Bewertungsprozesses in vielen Geschäftsbereichen eine umfangreiche Datensammlung erstellt wurde. Aus dieser geht nicht nur hervor, welche Dokumente relevant oder zumindest interessant für den entsprechenden Geschäftsbereich sind, sondern eben auch welche Dokumente irrelevant sind.

KI-Datenmodelle für Patentliteratur

Mithilfe des Machine Learning wird ein neuronales Netz trainiert

Im Rahmen einer Machbarkeitsstudie hat thyssenkrupp TCCT ein KI-gestütztes Assistenzsystem für IP Monitoring und Patentrecherche entwickelt, welches automatisch Textdokumente nach inhaltlicher Relevanz und thematischer Kategorie analysieren, durchsuchen und vorsortieren kann.

Das KI-System basiert auf modernsten Verfahren aus Natural Language Processing (NLP) und Machine Learning (ML). Durch Textanalysemethoden aus NLP lassen sich große Mengen von mehrsprachigen Textdaten verarbeiten und auf linguistische Merkmale untersuchen. Mit ML-Algorithmen kann das System trainiert werden, um aus diesen Merkmalen Rückschlüsse auf Inhalt und Kontext des Textes zu ziehen.

Das KI-System wird dabei gezielt für die kundenspezifische Branche, Industrie, Technologie oder Geschäftssparte trainiert. Die Trainingsdaten bestehen dabei aus vorhandenen Dokumenten, die bereits von menschlichen Experten „gelabelt“, das heißt, bereits mit Relevanz-Bewertung, Technologie-Einordnung und/oder der Bearbeiter-Zuteilung versehen sind. Einmal trainiert, ist das KI-System anschließend in der Lage, auch neue unbekannte Dokumente automatisch und objektiv zu durchsuchen, zu bewerten und zu klassifizieren.

Darüber hinaus bietet das KI-System die Möglichkeit des sogenannten Reinforcement Learning: Feedback und Korrekturen von menschlichen Experten auf die automatisch vorgenommenen Klassifizierungen und Bewertungen werden direkt verwendet, um das KI-System weiter anzutrainieren. Dieses kontinuierliche Lernen erlaubt eine fortlaufende Verbesserung des KI-Assistenzsystems und dynamische Anpassungen an neue Trends und Entwicklungen.

Allheilmittel oder Wunschvorstellung – wo liegen die Grenzen?

KI kann mit hoher Genauigkeit Patentdokumente klassifizieren

Im Rahmen mehrerer Machbarkeitsstudien für unterschiedliche Technologiebereiche konnten nicht nur wertvolle Erfahrungen gesammelt, sondern auch bewiesen werden, dass es einem KI-System möglich ist, die menschliche Sprache (insbesondere die Patentsprache) zu „verstehen“, Muster bzw. Kontext zu „erkennen“ und daraus Klassifizierungen abzuleiten. Je nach Datensatz und Technologiebereich konnten bereits Genauigkeiten zwischen 80 % und 99 % erreicht werden.

Dennoch bleibt es grundsätzlich schwierig, Rückschlüsse auf das Verhalten der KI zu ziehen und gewisse Entscheidungskriterien oder auch Störfaktoren nachzuvollziehen. Obwohl das System komplett selbst entwickelt wurde, bleibt es zu einem gewissen Maß eine Blackbox, da die komplexen Berechnungen der KI nicht mit vertretbarem Aufwand per Hand nachgerechnet werden können.

Für den Praxiseinsatz ist letztlich das Vertrauen des jeweiligen Patentbewerters in das KI-Assistenzsystem entscheidend. Effizienzvorteile werden dann gehoben, wenn sich der Bewerter auf die Unterstützung durch die KI einlässt und dabei nicht auf Anhieb eine 100%ige Vorhersagegenauigkeit als Maßstab anlegt. Im Umkehrschluss kann auch vom Menschen keine 100%ige Genauigkeit erwartet werden.

Wir sind davon überzeugt, dass Künstliche Intelligenz den Menschen im Patentmonitoring-Prozess nicht ersetzen, sondern lediglich unterstützen kann. Der Mensch wird dabei, wie in vielen anderen Prozessen, die einer digitalen Transformation unterliegen, eine zunehmende Kontrollfunktion übernehmen, während KI-Lösungen vorbereitende Aufgaben ausführen und die Entscheidungsfindung unterstützen.

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