Mittlerweile treiben alle Stakeholder die Energiewirtschaft mit ESG-Kriterien vor sich her, betriebliches Nachhaltigkeitsmanagement wird für Energiedienstleister zur strategischen Aufgabe. Die Polykrise verstärkt den Handlungsdruck. Jedoch fehlt bei vielen Energiedienstleistern die dafür passende IT-Architektur. Wer jetzt nicht handelt, riskiert stark steigende Kapitalkosten, abwandernde Kunden, Schaden an der Arbeitgeber-Marke und die Nicht-Testierung durch Wirtschaftsprüfer. Dr. Heinrich Tschochohei gibt einen Überblick, warum und wie Energiedienstleister handeln müssen.
Managing Director & Chief Sustainability Officer | BTC Business Technology Consulting AG
Zum ProfilDie 2014 aufgesetzte europäische Energiesicherheitsstrategie läutet den Umbau der Assets im europäischen Energiesystem ein, flankiert von immer härteren Energieeffizienzvorgaben und dem EU Green Deal. Die aktuellen Umwälzungen im Energiemarkt wirken dabei als Zeitraffer:
Klimawandel
Inzwischen hat die Veränderung unseres Klimas handfeste Auswirkungen auf das Geschäft von Energiedienstleistern. So sind etwa Kraftwerke nicht mehr ausreichend kühlbar, weil im Sommer die Flüsse zu heiß werden.
Ressourcenengpässe
Betroffen sind zum Beispiel BHKW-Ersatzteile, Kohle, Gas sowie Fachkräfte. Besonders Letzteres zeichnet sich in einem Arbeitnehmermarkt deutlich ab. Es gewinnt der Arbeitgeber am einfachsten neue Mitarbeitende, der mit klaren Fakten zum eigenen Nachhaltigkeitsmanagement punkten kann.
Inflation
Nach einem langen Zeitraum moderater Teuerungsraten springen die Preise in großer Geschwindigkeit auf ungekannte Höhen.
Nachhaltigkeitsmanagement ist darüber hinaus deshalb Priorität Nummer eins für Energiedienstleister, weil ab diesem Jahr das Lieferkettengesetz für große Unternehmen greift und weil bereits die in 2024 durchgeführten Tätigkeiten Bestandteil des Jahresabschlussberichts sein werden. Die Kriterien, die die Wirtschaftsprüfer anwenden, sind seit November 2022 bekannt. Erhält ein Energiedienstleister für seinen Abschlussbericht kein Testat, heißt es für die Geschäftsführung: keine Entlastung, sondern eventuell Entlassung, da der Anteilseigner, häufig eine Kommune, das Management austauscht.
Doch auch darüber hinaus ist das Nachhaltigkeitsmanagement der Energiedienstleister betriebswirtschaftlich unmittelbar relevant: Je schlechter ein Unternehmen die ESG-Kriterien erfüllt, desto höher sind seine Kapitalkosten, nicht zuletzt deshalb, weil Banken und institutionelle Investoren derzeit ihre eigenen Bilanzen im Sinne einer „Green Asset Ratio“ umbauen und graue Investitionen ablehnen. Es existiert insofern ein hoher Bedarf an Weiterbildung rund um den Komplex aus Nachhaltigkeit im Unternehmen und seinen Kapitalkosten, da die Zusammenhänge bisher noch nicht in der Breite bekannt sind.
Für ein Nachhaltigkeitsmanagement, das den neuen Gegebenheiten gerecht wird, benötigen Unternehmen mehr Kennziffern als ihr bisheriges wirtschaftliches Jahresergebnis. Wenn sie ihre Steuerung an ESG-Fragestellungen ausrichten, müssen daher die Informationssysteme dem folgen. Eine intelligente IT-Architektur bringt die verschiedenen Informationssysteme zueinander in Beziehung, senkt Kosten durch die Vermeidung von Mehrfachstrukturen und befriedigt die Stakeholder-Anforderungen. Die gute Nachricht: Alle notwendigen Informationen sind bereits vorhanden, jedoch verteilt in unterschiedlichen Systemen und in manchen Fällen konzentrieren sie sich sogar bei einzelnen Experten im Unternehmen.
Die Aufgabe des Nachhaltigkeitscontrollings ist es, die Daten aus verschiedenen Quellen zusammenzubinden und verfügbar zu machen, nicht zuletzt um strategische Entscheidungen zu ermöglichen. Denn im Idealfall erheben die Verantwortlichen sie nicht ausschließlich für den Jahresabschluss, sondern projektbezogen für jede Investitionsentscheidung. Der Nachhaltigkeitsbericht auf Knopfdruck ist nur die Pflicht, nicht die Kür.
Falsch wäre es daher, wenn eine Funktionseinheit alle Daten sammelt, womöglich sogar händisch mit hohem Aufwand statt automatisiert, und sie für den Nachhaltigkeitsbericht aufbereitet, sie darüber hinaus jedoch nicht an die relevanten Adressen im Unternehmen distribuiert. So vergeben Unternehmen Chancen, da sie lediglich den Status quo erhellen, anstatt die Informationen bereits vorab individuell konfiguriert in Entscheidungsprozesse einzuspeisen. Ab jetzt gehören Nachhaltigkeitsaspekte jedoch genuin zur Bewertung jedes Vorhabens, daher ist es nicht empfehlenswert, das Nachhaltigkeitsmanagement als Reporting-Stabsstelle zu integrieren.
CO2-Ausstöße sind in aller Munde. Will man sie reduzieren, muss man zunächst wissen: Wo kommen die Treibhausgasemissionen her, wo entstehen sie und wie setzt sich der „CO2-Kuchen“ eines Unternehmens zusammen? Dann lassen sich Senkungsmaßnahmen identifizieren. Möchte etwa ein lokaler Energiedienstleister ein Quartierskonzept in einer Kombination aus Wärme, Mobilität, zentralen und dezentralen Energieströmen umsetzen, ist das Ermitteln der Emissionsbilanz verschiedener technischer Szenarien komplex. Genau das ist aber das Ziel: der Kommune, den Projektentwicklern und Anwohnern beispielsweise auf Knopfdruck die Kohlenstoff-Exposition der beiden Alternativen Fernwärme und Blockheizkraftwerk mitteilen zu können.
Ein anderes Beispiel, das ebenfalls zu den ESG-Kriterien gehört, ist die Frauenquote in Managementstrukturen. Was auf den ersten Blick nach einer einfachen Strichliste verlangt, erweist sich ebenfalls als nicht trivial. Wirtschaftsprüfer blicken hier auf die Datenkonsistenz, da besonders in Unternehmensgruppen die einzelnen Teile unterschiedliche Kennzahlen verwenden. Manche zählen in Köpfen, andere in Vollzeitäquivalenten. Es gibt bereits heute Fälle, in denen Unternehmen von ihren Prüfern aufgrund mangelnder Datenkonsistenz Nacharbeitungsaufträge erhalten.
Gerne vergessen, um ein zusätzliches Feld zu nennen, werden die letzten 20 % der Datenerhebung. Um an diese Informationen zu gelangen, ist oft großer Aufwand nötig. Das können die propangasbetriebenen Gabelstapler im Hochregallager sein oder die veränderte Biodiversität nach einem Leitungsbau, die eine Netzgesellschaft dokumentieren muss. Oft finden sich hier noch handschriftliche Notizen, die jedoch in den Nachhaltigkeitsbericht eingehen müssen. Dafür sind kluge, pragmatische Wege zur einfachen Datenerfassung gefragt, mit schlanken Workflows.
Es ist jetzt Zeit, den Reifegrad der aktuellen IT-Architektur festzustellen und einen Blick auf das betriebliche Nachhaltigkeitsmanagement als Energiedienstleister zu werfen, um kurzfristig gesetzliche Vorgaben umzusetzen, mittelfristig die Kapitalkosten gering zu halten und langfristig die Unternehmensexistenz zu sichern.
Am Anfang steht ein Sustainability Readiness Check, sowohl strategisch und organisatorisch als auch IT-seitig. So bestimmen Unternehmen ihren aktuellen Nachhaltigkeitsstandort. Diesen zu kennen, ist wichtig, weil es kein pauschal richtiges Vorgehen gibt. Die Kultur und Historie eines Unternehmens spielen eine große Rolle, ebenso die spezifische Ausgangssituation der Anteilseigner und des Produktportfolios. Für manche empfiehlt es sich, mit einer Prozessbeschreibung zu beginnen, andere starten direkt bei der IT und wieder andere mit der so genannten Wesentlichkeitsanalyse. Dabei handelt es sich um ein spezielles Instrument des Qualitätsmanagements aus dem Umweltbereich.
Aus dieser Analyse ergibt sich eine Roadmap. Hier zeigt sich, dass in manchen Fällen die IT noch gar nicht angepasst werden muss, weil die Prozesse unklar sind. Manchmal sind auch erst organisatorische Schritte notwendig. Wenn Unternehmen dafür auf einen externen Dienstleister zurückgreifen wollen, sollten sie darauf achten, dass dieser inhouse oder über sein Netzwerk alle Schritte mitgehen kann, sie also mindestens bis zum Projektabschluss begleitet und idealerweise auch darüber hinaus unterstützt. Generische Foliensätze zur Bedeutung von ESG mit definierten Arbeitspaketen reichen nicht aus, da ohne eine Verantwortung für die Umsetzung aufseiten des Partners Budget verloren geht.
Nach einem langen Zeitraum der Reflexion kommt jetzt massive Bewegung in den Umbau der Versorgungswirtschaft hin zu nachhaltigen Organisationen. Verantwortlich dafür ist ein ganzes Bündel von Ursachen. Reagieren Unternehmen jetzt nicht und warten weiter ab, drohen empfindliche Sanktionen und Wettbewerbsnachteile. Wer das Thema jedoch heute in Angriff nimmt, der erschafft einen grünen Betrieb, damit für ihn die Ampeln auch zukünftig auf der gleichen Farbe stehen.
Die ESG-Kriterien und aktuelle Krisen haben ein Umdenken im Investment-Sektor bewirkt. Unternehmen stehen vor der Herausforderung, ESG-Kriterien zu berücksichtigen und abzuwägen. Dabei besteht die Herausforderung vor allem darin, Nachhaltigkeit und Ökonomie in Einklang zu bringen und ESG-Risiken abzuwägen.
Kommentare
Keine Kommentare