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Richtig ist, dass ein Unternehmer, der über Fingerspitzengefühl und Durchsetzungsstärke verfügt, eine Vielzahl der Konflikte selbst managen und lösen kann. Richtig ist auch, dass ein ausgiebig verhandelter Vertrag, viele Konflikte bereits präventiv vermeiden kann – dies auch in Konstellationen, welche die Vertragsparteien häufig bei Abschluss des Vertrages noch nicht im Blick hatten.
Was aber passiert, wenn – wie häufig – ein Konflikt trotzdem auftritt, zum Beispiel weil er nicht vorhergesehen hätte werden können? Welche Mechanismen stellt nicht nur das Recht, sondern auch ein projektbegleitender Rechtsanwalt zur Verfügung, um solche Konflikte früh zu analysieren und zu lösen?
Die COVID-19-Pandemie hat im Gewerbemietrecht Konflikte ausgelöst, die es vorher noch nicht gegeben hat. Der Krieg in der Ukraine wird Ähnliches auslösen – beispielsweise bei Materialpreisen im Bauwesen. Dr. Andreas Papp widmet sich in diesem Beitrag den genannten Fragestellungen zur effektiven Konfliktlösung im Gewerbemietrecht.
Ein Vertrag ist meist der Auftakt einer neuen Geschäftsbeziehung. Das Gewerbemietrecht ist ein gutes Beispiel: Im Gewerbemietrecht sind es jahrzehntelange Geschäftsbeziehungen. Die längste vertragliche Festlaufzeit kann 30 Jahre betragen (§ 544 BGB) – eine lange Zeit mit viel Konfliktpotenzial. Häufige Management-Fehler entstehen bereits bei den Vertragsverhandlungen und dem Vertragsabschluss. Das ist sogar verständlich, da es auch bei Geschäftsbeziehungen eine sogenannte „Honeymoon“-Phase gibt, in der man sich nicht streiten will und gegenseitig vertraut. Kaufleute sind in dieser Phase oft euphorisch und ignorieren mitunter die „lästigen“ Formalien des Alltags und agieren aktionistisch.
Ein guter Rechtsanwalt erkennt diese Phase und sensibilisiert seinen Mandanten. Es ist seine Aufgabe, Szenarien zu antizipieren, die nicht unüblich sind und für die Parteien mitunter durch die „rosarote Geschäftsbrille“ nicht erkennbar sind. Seine Aufgabe ist es, diese Szenarien erkennbar zu machen und den Parteien Lösungswege für den Fall aufzuzeigen, dass ein solcher Fall auftritt.
Ein erster großer Fehler der Vertragsparteien liegt darin, in einem solchen Stadium keinen Rechtsanwalt einzubinden. Komplexe Gewerbemietverträge mit längeren Festlaufzeiten können selten ohne Rechtsanwalt verhandelt und geschlossen werden. Nicht nur das, auch der erste Entwurf eines Gewebemietvertrages muss auf den Fall zugeschnitten gewählt sein und von einem Rechtsanwalt stammen. Warum? In fast keinem anderen Rechtsgebiet sind kleinere formale Fehler so verheerend wie im Gewerbemietrecht: Bei Schriftformfehlern platzt die Festlaufzeit und jede Partei kann den Vertrag ordentlich kündigen. Eine Geschäftsbeziehung von mitunter 20 bis 30 Jahren kann dadurch einseitig bei kleinsten Fehlern bereits auf 1,5 Jahre reduziert werden. Packt eine Partei die Vertragsreue, wird nicht selten nach einem Schriftformfehler gesucht. Stolperfallen gibt es viele.
Wichtig ist also die frühe Einbindung eines Rechtsanwalts, der auf das Rechtsgebiet spezialisiert ist. Seine Aufgabe ist es, ein kongruentes Regelwerk zu verhandeln, das die Interessen seiner Partei wahrt und für potenzielle Konflikte Regelungsmechanismen vorhält: So muss zum Beispiel ein Gewerbemietvertrag in einer Projektentwicklung nachvollziehbare und funktionale Mechanismen für Änderungswünsche des Mieters vorsehen. Der Rechtsanwalt des Vermieters muss darauf achten, dass solche Änderungswünsche nicht zu Kosten auf Vermieterseite führen und, dass auch zeitliche Auswirkungen nicht dazu führen, dass die – häufig vereinbarte – Vertragsstrafe zulasten des Vermieters ausgelöst wird.
Wenn hier die Vertragsverhandlungen mit einem unbrauchbaren Vertragsmuster aus der Schublade (wie so oft aus einem frühen Projekt) stammen, gerät die Verhandlung von Beginn an in eine Schieflage.
Der Rechtsanwalt wird Szenarien skizzieren, die derzeit noch „fernliegend“ erscheinen, die aber durch einen Vertrag geregelt werden können. Auch „pragmatische“ Unternehmer, die viel lieber mit dem Projekt beginnen wollen, sollten sich mit den wichtigsten dieser Szenarien befassen und es sollten Mechanismen verhandelt werden, die im Falle des Konflikts Anwendung finden: Soll beispielsweise eine einseitige Verlängerungsoption des Mieters mit der Maßgabe verknüpft werden, dass die Miete neu verhandelt wird, muss auch verhandelt werden, was passiert, wenn sich die Parteien im Rahmen der Verhandlungen nicht einigen können:
Gibt es dann ein Schiedsgutachterverfahren durch einen vom örtlich zuständigen IHK-Präsidenten bestimmten Sachverständigen?
Sollen die Parteien den Mittelwert zweier angefertigten Gutachten zugrunde legen?
Schreibt sich die Miete nach dem Scheitern der Verhandlungen durch einen Staffel- oder Indexmodus fort?
Der Rechtsanwalt kann diese kommerziellen Punkte nicht selbst entscheiden, wenngleich er Empfehlungen abgeben kann. Der Rechtsanwalt muss aber die Konflikte aufzeigen und die Parteien in die richtige Verhandlungsbahn lenken.
Das ist das präventive Konfliktmanagement durch richtige Vertragsverhandlung.
Ein Vertrag regelt schließlich Konflikte nur in Grenzen. Das hat vor allem zwei Gründe:
Die Vielzahl der möglichen Konflikte geht gegen unendlich. Einen Vertrag, der all diese Konflikte antizipieren und regeln soll, gibt es nicht und die Parteien sind stets zu individuell, als dass jeder Streit und jede Meinungsverschiedenheit im Vorfeld erkannt worden sein könnten.
Eine häufige zweite Ursache für Konflikte sind sich nachträglich ändernde Umstände gleich welcher Art, die keine Partei in dieser Form vorhergesehen hatte.
Oft wird in der Frühphase eines Projektes erkennbar, dass es neuralgische Punkte gibt, die ganz besonders in diesem einen Projekt Konflikte auslösen. Das kann eine vernachlässigte Gestaltung technischer Anlagen zum Vertrag sein.
Praktisches Beispiel:
Die Parteien nahmen an, sich über die Fassadengestaltung eines Gebäudes unproblematisch einig zu werden, da bei Abschluss des Vertrages keine großartige Meinungsverschiedenheit erkennbar war. Wenn sich die Fassadenwerbung des Mieters aber farblich mit der ausgeführten Fassadenfarbe des Vermieters beißt, gibt es einen Konflikt. Soll der Vermieter die Farbe wechseln, kostet das mitunter mehr. Wer trägt die Kosten?
In dieser Frühphase eines Projektes ist es die beste Konfliktprävention, sich noch einmal an den Verhandlungstisch zu setzen und mittels Nachtrags die Verhandlungen fortzuführen. Diese Frühphase ist meist noch von Euphorie getränkt und die Parteien werden sich überwiegend einig. Sehr oft gib es dabei mehrere offene Punkte, welche die Parteien zunächst nicht gesehen hatten, die dann insgesamt nachverhandelt werden.
Die Flankierung der Verhandlungen durch den Rechtsanwalt besteht in dieser Phase vor allem darin, eventuelle Konfliktmuster zu identifizieren und gleich mitzuregeln. Alle Themen, die im Rahmen einer solchen Nachverhandlung bekannt und zu aktualisieren sind, sind auch zu regeln und entsprechend zu ergänzen.
Das ist das nachvertragliche Konfliktmanagement durch zusätzliche Verhandlungen.
Unvorhersehbare Umstände, die nach Vertragsschluss entstehen und große Unwuchten in die Geschäftsbeziehungen bringen, können selten verlässlich durch vorherige Vertragsgestaltung aufgefangen werden. Die COVID-19-Pandemie in Gewerberaummietverhältnissen sowie der Krieg in der Ukraine sind Umstände, die keiner in dieser Form vorhersehen konnte. Diese Umstände wirken sich aber massiv auf das einmal harmonisierte Vertragsgefüge aus. Auch die kleineren „Unwuchten“, wie zum Beispiel auf Vermieterseite eine unvorhergesehene Auflage zu einer Baugenehmigung, die nun massive Mehrkosten auslöst, Änderungen im Gesellschafterbestand des Mieters oder die Insolvenz eines Bauunternehmens im Rahmen des Bauvorhabens, werden häufig nicht oder nur unzulänglich vertraglich geregelt.
Gerade bei solchen Sachverhalten muss eine rechtlich flankierte Beratung stattfinden und eine Strategie zur Konfliktbewältigung verfolgt werden, bei der das Gewerbemietrecht gewisse Instrumentarien zur Verfügung stellt.
Regelungen zu „höherer Gewalt“ sind nur eingeschränkt hilfreich: Sie erfassen häufig in einer Kasuistik nur die Fälle, die schon einmal da waren. So enthalten gegenwärtig verhandelte Vertragsregelungen mitunter sehr ausdifferenzierte Mechanismen für den Fall einer weiteren Pandemie oder ggf. eines Krieges. Nicht mitgedacht werden zurzeit aber Auswirkungen des Klimawandels, wie zum Beispiel Dürreperioden und Überschwemmungen. Grund dafür ist oft, dass nicht wirklich bekannt sein wird, wie sich die Umstände tatsächlich auf das Vertragsgefüge auswirken können. Auch die erdachten Rechtsfolgen solcher Regelungen sind nicht immer sachgerecht. Die Anrechnung von staatlichen Hilfen im Rahmen der COVID-19-Pandemie bei der Verhandlung der Miete ist zuvor selten diskutiert worden. Gleichwohl ist nun auch der Bundesgerichtshof der Meinung, solche staatlichen Hilfen sind bei der Frage der Zumutbarkeit einer Anpassung der Miete zu berücksichtigen (BGH, 12.01.2022 - XII ZR 8/21). Das ist sachgerecht und jede vertragliche Regelung, die einen automatischen Anpassungsmechanismus vorsieht, führte in dieser Situation zu einer Schieflage.
Mechanismen für das nachträgliche Konfliktmanagement gibt es viele, wobei der Interessenaustausch zunächst im Vordergrund stehen wird:
Streitige Korrespondenz zwischen den Parteien
Streitige Korrespondenz mit flankierenden anwaltlichen Stellungnahmen
Anwaltliche Korrespondenz mit der Androhung von rechtlichen Schritten
Gerichtliche Auseinandersetzung, ggf. mit einem gerichtlichen Mediationsverfahren
Schiedsverfahren oder private Mediationsverfahren
Naturgemäß geht jeder Lösung ein Streit voraus. Dieser Streit ist wichtig, damit klar wird, welchen Umfang die Interessengegenläufigkeit hat. Der Rechtsanwalt hat hier zu analysieren, welche Punkte überhaupt streitig sind und welche nicht. Über unstreitige Punkte muss nicht gestritten werden, es sei denn, dies dient der Durchsetzung anderer streitiger Punkte. Das ist klassische Anwaltstaktik und tagesüblich.
Erfahrungsgemäß ist auch der Aufbau von Druck ein valides Mittel für eine interessengerechte Lösung von Konflikten im Gewerbemietrecht. Insoweit vertreten viele Unternehmer, den in häufigen Konstellationen richtigen Ansatz: „Peitsche und Zuckerbrot“ – nicht umgekehrt. In dieser Phase ist das Recht und vor allem die vertraglichen Regelungen ein Instrument zur Durchsetzung von Interessen. Nicht selten wird beispielsweise in einer solchen Phase als „Druckmittel“ eine Kündigung des Gewerbemietvertrages angedroht oder ausgesprochen, um unter dem Eindruck einer langwierigen und kostspieligen gerichtlichen Klärung, ob die Kündigung wirksam ist oder nicht, eine bessere Verhandlungsposition zu sehen. Freilich ist dieses Vorgehen ein risikoreiches Unterfangen und muss gut überlegt sein.
Der spezialisierte Rechtsanwalt hat in solchen Konfliktphasen, die kommerziellen Interessen seines Mandanten zu analysieren und mögliche Lösungswege aufzuzeigen sowie Strategien vorzuschlagen (und nach Abstimmung umzusetzen). Bei streitigen Konflikten wird er nach Bedarf auch streitig agieren müssen. Sobald sich aber Kompromissmöglichkeiten zeigen, wird ein Rechtsanwalt unmittelbar eine Beratungszäsur setzen und die aktualisierte „Gefühlswelt“ der Parteien ergründen. In allen Phasen der Streitentwicklung wird der Rechtsanwalt auf Gespräche, Mediationen und Schiedsmechanismen hinweisen, denn oft besteht selbst bei den schwerwiegendsten Streitigkeiten ein Konsens dahingehend, dass die gerichtliche Klärung die schlechteste aller Alternativen ist.
Streitschlichtungsmechanismen wie zum Beispiel ein kleineres Schiedsverfahren mit einem Schiedsgutachter bei technischen Sachverhalten sowie bezogen auf rechtliche Fragestellungen bei der Deutschen Institution für Schiedsgerichtsbarkeit oder bei internationalen Vorhaben bei der International Chamber of Commerce können auch nachträglich vereinbart werden. Auch hierauf hat der Rechtsanwalt hinzuweisen.
Das ist das nachträgliche Konfliktmanagement außerhalb der Vertragsverhandlungen.
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