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In der Bauwirtschaft wächst der Druck: Kosten steigen, Vorschriften nehmen zu, und Planer fühlen sich in ihrer Freiheit eingeschränkt. Der Gebäudetyp E wird als Lösung gehandelt, um die Planungsfreiheit zu erhöhen und Bauprojekte effizienter zu gestalten. Doch was steckt wirklich hinter diesem Konzept? Kann es das Bauen in Deutschland einfacher, schneller und kostengünstiger machen – oder führt es nur zu neuen Unsicherheiten?
Michael Halstenberg, Rechtsanwalt, Ministerialdirektor a. D., fundierter Kenner des öffentlichen Baurechts sowie Mitglied in zahlreichen Fachkommissionen der Branche, erläutert in diesem Artikel die Hintergründe, Chancen und Herausforderungen des Gebäudetyp E und zeigt auf, welche realistischen Perspektiven für die Bauwirtschaft bestehen.
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Der Begriff Gebäudetyp-E steht für experimentell, einfach und effizient. Er beschreibt die Forderung vieler Planer nach mehr Entscheidungsfreiheit, da sie sich durch technische Regelwerke und gesetzliche Vorgaben zu stark eingeschränkt fühlen. Diese Regulierungen sollen zwar Sicherheit und Qualität gewährleisten, können jedoch auch hohe Kosten verursachen.
Ein großes Problem liegt darin, dass Planer für Entscheidungen haftbar gemacht werden, selbst wenn sie sich nur minimal von technischen Vorgaben entfernen. Um rechtliche Konsequenzen zu vermeiden, wird oft strikt nach technischen Regelwerken geplant und gebaut, selbst wenn dies nicht zwingend notwendig wäre.
Technische Regelwerke sind nicht immer rechtsverbindlich, dennoch werden sie oft als solche interpretiert. Ein Beispiel ist die DIN 18015-2, die häufig als verbindliche Vorschrift zur Mindestanzahl von Steckdosen angesehen wird. Tatsächlich gibt diese Norm lediglich technische Empfehlungen zur Umsetzung vor. Die Anzahl der Steckdosen ist vertraglich frei vereinbar, solange sicherheitsrelevante Mindestabstände (z. B. zur Badewanne) eingehalten werden.
Ein weiteres Hindernis ist das Verhalten der Bauherren. Viele bestehen darauf, dass alle technischen Regelwerke eingehalten werden, um bestimmte Komfortstandards zu sichern. Statt klare Anforderungen zu formulieren, wird pauschal die Einhaltung aller technischen Regelwerke verlangt. Hier könnte eine verstärkte Aufklärung Abhilfe schaffen. Dies ist in Art. 249 Abs. 2 EG-BGB bereits gesetzlich geregelt.
In der Praxis gibt es bereits Möglichkeiten, von technischen Regelwerken abzuweichen. Bauordnungen lassen Ausnahmen zu, wenn diese genehmigt werden. Zudem können vertragliche Vereinbarungen explizit festlegen, dass bestimmte Standards nicht angewendet werden. Eine gesetzliche "Freizeichnung" für das Ignorieren von Standards wäre jedoch nicht sinnvoll.
Ein zentrales Problem ist, dass viele Verträge auf die Einhaltung der "anerkannten Regeln der Technik" verweisen, oft durch Bezugnahme auf die VOB/B. Dadurch bleibt wenig Spielraum für experimentelles oder einfacheres Bauen. Wenn die Leistungsbeschreibungen zudem in wichtigen Punkten unzureichend sind, werden die vertraglichen Lücken dadurch geschlossen, dass im Einzelfall das berechtigterweise erwartbare „Übliche“ geschuldet ist. In Deutschland sind die Baustandards hoch, sodass nur wenig Raum für Einsparungen bleibt.
Eine vorgeschlagene Idee ist, einen gesetzlichen baulichen Mindeststandard festzulegen. Wenn dieser als Basisvertrag gilt, könnte der Auftraggeber keine Mängelrügen geltend machen, sofern das Gebäude diesem Standard entspricht. Doch wer würde diesen Mindeststandard festlegen? Ein Vorschlag des Bundesjustizministeriums sah vor, dass das Bundesbauministerium diese Aufgabe übernimmt. Doch kann der Gesetzgeber wirklich für jedes Bauvorhaben, vom Einfamilienhaus bis zur Klinik, einheitliche Vorgaben machen?
In Wahrheit würde eine solche Regulierung das Bauen nicht einfacher, schneller oder effizienter machen. Vielmehr wären Bauherren und Planer gefragt, sich auf individuell angepasste Standards zu einigen, anstatt pauschal technische Regelwerke als bindend anzusehen.
Statt neuer gesetzlicher Regelungen wäre es sinnvoller, Verträge klarer zu formulieren. Die aktuellen Bauordnungen bieten bereits die Möglichkeit, von technischen Vorschriften abzuweichen, solange die bauliche Sicherheit gewährleistet bleibt. Alle darüber hinausgehenden Komfort- und Ausstattungsmerkmale müssen explizit vereinbart werden.
Doch was bedeutet "ausdrücklich" vereinbart? Wenn ein Badezimmer vorgesehen ist, aber kein Waschbecken explizit erwähnt wird, ist es dann geschuldet? Wenn ein Kellerraum für Akten vorgesehen ist, aber keine Abdichtung im Vertrag steht, muss er dann trocken sein? Hier zeigt sich, dass vertragliche Lücken immer bestehen bleiben und nicht durch neue Vorschriften geschlossen werden können. Das Vertragsrecht erlaubt auch stillschweigende Vereinbarungen, was in der Praxis unverzichtbar ist.
Wenn man an den Bauwerkskosten tatsächlich etwas ändern will, muss über die in Deutschland „üblichen“ Standards gesprochen werden. Solche hat der Gesetzgeber durch immer neue Anforderungen geschaffen, zuletzt die Einrichtung von Ladeinfrastruktur für E-Mobile. Zu wesentlichen Teilen haben die Bauherren diese Standards aber selbst etabliert. Das gilt zum Beispiel für den sogenannten erhöhten Schallschutz gemäß der DIN 4109-2018.
Keine gesetzliche Bestimmung sieht vor, dass dieser realisiert werden muss. Aber viele Bauträger versprechen ihren Kunden die „höchste Qualität“ und etablieren damit ein übliches Niveau über dem bauordnungsrechtlichen Standard und damit auch den höheren Schallschutz.
Die Idee des Gebäudetyp-E soll das Bauen einfacher und günstiger machen. Doch in Wirklichkeit ist nicht die Gesetzgebung das Problem, sondern die hohen Erwartungen an Komfort und technische Standards. Viel Geld lässt sich nicht durch Regelabweichungen sparen, sondern durch bewusste Reduktion des Bauumfangs.
Beispiele wie das "Hamburger Modell", das auf soziale Wohnbauten in Schleswig-Holstein basiert, zeigen, dass Kosteneinsparungen durch reduzierte Anforderungen möglich sind. Letztlich braucht es keine neuen gesetzlichen Festlegungen, sondern mehr Transparenz, realistische Erwartungen und verstärkte Aufklärung der Vertragspartner. Wer weniger zahlt, muss akzeptieren, dass er auch weniger bekommt – und das ist keine Frage des Gebäudetyp-E, sondern der ehrlichen Kommunikation im Bauwesen.
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