Energiespeicher werden infolge der Elektrifizierung künftig in immer mehr Bereichen eine wichtige Rolle spielen. Doch wann genau wird das sein? In welchem Umfang wird es passieren? Und was hat damit der sogenannte Popcorn-Moment zu tun?
Wirtschaftsforscher Nils aus dem Moore hat für Management Circle zahlreiche Fachkonferenzen zu verschiedenen Aspekten der Energiewende mitkonzipiert und moderiert. In dem folgenden Beitrag versucht er, Antworten auf die genannten Fragen zu erörtern.
Zwei Gewissheiten gab es über viele Jahre hinweg auf den Konferenzen zur Energiewende, die ich seit dem Jahr 2010 als Vorsitzender und Moderator für die Management Circle AG begleiten durfte: Einerseits war klar, dass eine perspektivisch auf die (fast) vollständige Versorgung mit erneuerbaren Energien abzielende Energiewende irgendwann nicht mehr ohne den umfangreichen Einsatz von Strom- beziehungsweise Energiespeichern auskommen würde. Andererseits waren sich die Experten aus Wissenschaft und Praxis auch immer wieder darin einig, dass dieser Zeitpunkt noch viele Jahre, wenn nicht gar Jahrzehnte entfernt sei. Die im bestehenden Energiesystem mobilisierbaren Flexibilitätsreserven wurden so groß eingeschätzt, dass ein substanzieller Markteintritt von Energiespeichern erst ab einem Erneuerbaren-Anteil von 50 bis 60 Prozent als volkswirtschaftlich erforderlich und betriebswirtschaftlich rentabel galt.
Auch wissenschaftliche Analysen konnten relativ wenig dazu beitragen, die Ungewissheit über das „Wann“ eines Durchbruchs der Energiespeicher zu reduzieren. So kam eine Meta-Analyse zu zahlreichen vorliegenden Studien im Auftrag der Agentur für Erneuerbare Energien noch im Januar 2015 zu der prägnanten Einschätzung, „dass keine eindeutige Aussage hinsichtlich des Speicherbedarfs oder gar der Entwicklung einzelner Technologien getroffen werden kann“. Dieser Befund resultierte aus der Vielzahl der in ihrer jeweils eigenen Entwicklung wiederum unsicheren Einflussfaktoren. Für jedes einzelne Speicherszenario war daher eine Vielzahl von Annahmen erforderlich – und das führte zu einer großen Spannbreite der Ergebnisse.
Besonders sensibel reagierten die Zukunftsaussichten für Energiespeicher naturgemäß auf unterschiedliche Annahmen hinsichtlich der Entwicklung verschiedener Stromerzeugungskapazitäten sowie der Preise und Kosten für unterschiedliche Elemente im Energiesystem. Als weitere Faktoren wurden ökonomische und technische Restriktionen im Kraftwerksbetrieb (etwa die Vorhaltung von Regelleistung, KWK-Wärmebereitstellung, maximale Lastgradienten), die Rahmenbedingungen auf der Übertragungs- und Verteilnetzebene sowie die Entwicklung des grenzüberschreitenden Stromhandels identifiziert. Nicht zuletzt bestand eine hohe Unsicherheit über das Potenzial anderer
Was hat sich knapp fünf Jahre später an dieser Ausgangslage geändert? Die „Energy Storage Masterclass 2019“ nimmt am 4. Dezember in München die Energielandschaft der Zukunft in den Blick und beleuchtet Stand und Perspektiven von Energiespeichern im Kontext der deutschen und europäischen Energiewende. Fraglos werden Speicher infolge der Elektrifizierung künftig in immer mehr Bereichen eine Rolle spielen – die Stichworte reichen von „smart cities“ und „smart living“ bis zur E-Mobilität und betreffen jenseits der modernen Logistik auch nahezu alle anderen Industriezweige. Allerdings erscheinen Zeitpunkt und Umfang eines relevanten Markteintritts von Energiespeicher-Anwendungen im Kernbereich der Energiewende nach wie vor ungewiss.
Das liegt auch an der unverändert bestehenden Abhängigkeit von regulatorischen Details, die im Bereich der Speicher besonders eklatant und nachteilig ist. Da das Energiewirtschaftsgesetz bis heute keine gesonderte Kategorie „Speicher“ kennt und nur zwischen Erzeugern und Verbrauchern unterscheidet, werden Speicher in der Regel gleich doppelt mit Abgaben und Umlagen belastet – einmal beim Einspeichern (als „Letztverbraucher“), dann erneut beim Ausspeichern (als „Erzeuger“). Wenige Monate nach Erscheinen der oben zitierten Meta-Analyse brachte Michael Sterner, Professor an der Ostbayrischen Technischen Hochschule in Regensburg, die fundamentale regulatorische Abhängigkeit von speicherbasierten Geschäftsmodellen auf einer Management Circle-Konferenz folgendermaßen auf den Punkt: „Die EEG-Umlage killt jeden Business Case“.
Auf der gleichen Konferenz schärfte der Zukunftsforscher Lars Thomsen jedoch das Bewusstsein der Teilnehmer dafür, dass sich technologische Entwicklungen und erst recht der Durchbruch am Markt in der Regel nicht linear vollziehen. Die nichtlineare Dynamik plötzlicher Durchbrüche – so genannte „Tipping Points“ – illustrierte er mit eigenen Erfahrungen bei der Popcorn-Herstellung. Auf den ersten Blick geschieht dabei mit dem Puffmais augenscheinlich erstmal nichts, während die Temperatur des Öls in der Pfanne gleichmäßig zunimmt. Im Inneren der Maiskörner sieht das jedoch ganz anders aus. Das dort in einem stärkehaltigen Speichergewebe gebundene Wasser ändert durch die Erhitzung nach und nach seinen Aggregatzustand von flüssig zu gasförmig. Irgendwann kann die Schale der Maiskörner dem wachsenden Druck nicht mehr standhalten und platzt – das Popcorn poppt.
Steht dieser „Popcorn-Moment“ für Energiespeicher bald bevor? Drei Ereignisse der vergangenen Wochen und Monate könnten darauf hindeuten: Erstens die Verabschiedung des Klimapakets durch die Bundesregierung, zweitens die Tesla-Ankündigung zum Bau einer neuen Gigafactory in Brandenburg sowie drittens die in der Energiewende-Szene spürbare Intensivierung der Vorarbeiten für eine nationale Wasserstoff-Strategie.
Im Rahmen dieses Klimapakets hat die Bundesregierung nicht nur beschlossen, das Tempo der Energiewende zu forcieren und einen Erneuerbare-Energien-Anteil von 65 Prozent am Bruttostromverbrauch jetzt schon im Jahr 2030 erreichen zu wollen. Die aus Sicht zahlreicher Experten „kritische Schwelle“ zum notwendigen Einsatz von Speichern würde damit bereits am Ende des nächsten Jahrzehnts erreicht. Neben weiteren Maßnahmen zugunsten der Elektrifizierung (wie der Senkung der Stromkosten durch die perspektivische Finanzierung der EEG-Umlage mit den Einnahmen aus der CO2-Bepreisung) und dem Ausbau von Ladesäulen für Förderung der E-Mobilität wurde auch angekündigt, dass Energiespeicher von bestehenden Umlagen befreit werden sollen. Allerdings ist noch unklar, wie schnell und weitgehend diese Befreiung erfolgen wird. (Einige Bundesländer haben zudem bereits angekündigt, dass sie eine einseitige Befreiung von Speichertechnologien ablehnen.) In jedem Fall ist die klare Absicht der Politik erkennbar, Energiespeicher im Wettbewerb der Technologien und Lösungsansätze nicht länger durch eine ungünstige Regulierung zu benachteiligen.
Der Bau einer Gigafactory bei Berlin und die nationale Wasserstoff-Strategie werden das Umfeld für Energiespeicher in jedem Fall positiv beeinflussen, wenn auch eher mittel- und langfristig – einerseits durch induzierte Kapazitäts- und Preiseffekte insbesondere bei Batteriespeichern, andererseits durch die Forcierung der Sektorenkopplung unter Nutzung von Power-to-X-Technologien als chemische Speicheroption. Für einzelne dezentrale Geschäftsmodelle könnte der Popcorn-Moment freilich schon viel früher eintreten. Die „Energy Storage Masterclass 2019“ gibt daher einen breiten Überblick, sowohl zum aktuellen Markt für Stromspeicher als auch zu den Trends dieser wichtigen Energiewendetechnologie.
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