Zum 1.1.2023 ist das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) in Kraft getreten und gilt im ersten Schritt für (Groß-)Unternehmen, die regelmäßig mehr als 3.000 Arbeitnehmer in Deutschland beschäftigen. Ab 2024 sinkt dieser Schwellenwert dann auf 1.000 Arbeitnehmer. Mit dem Gesetz wird die Privatwirtschaft in die Pflicht genommen, einen Beitrag zum Schutz von international anerkannten Menschenrechten und Umweltstandards entlang der Lieferketten zu leisten. Seit Januar 2023 müssen die in den Anwendungsbereich des Gesetzes fallenden Unternehmen daher bestimmte Sorgfaltspflichten (Supply Chain Compliance-Maßnahmen) erfüllen. Einen anschaulichen Überblick über die Schutzgüter, die Supply Chain Compliance-Maßnahmen und deren Umsetzung in der Praxis geben die Rechtsanwälte Dr. Tobias Eggers und Joshua Pawel, LL.M. in diesem Beitrag.
Die als Sorgfaltspflichten bezeichneten Supply Chain Compliance-Maßnahmen des LkSG dienen dem Schutz sowohl individueller als auch kollektiver Interessen. Diese lassen sich grob in drei Kategorien aufteilen:
Regelungen zum Schutz aller Menschen (insbesondere Verbot von Kinderarbeit unter dem zulässigen Mindestalter (<15 Jahre) und von gefährlicher Kinderarbeit (<18 Jahre) sowie das Verbot der Diskriminierung)
Regelungen zum Arbeitnehmerschutz (insbesondere das Verbot von Sklaverei und Zwangsarbeit sowie das Verbot der Missachtung der Vereinigungsfreiheit und von Mindeststandards des Arbeitsschutzes)
Nachhaltigkeits- und Umweltverpflichtungen (insbesondere das Verbot von „Land Grabbing“ und der Verursachung von Umweltverschmutzungen unter Verwendung bestimmter Chemikalien)
Wichtig für die betroffenen Unternehmen: Es gilt keine Erfolgs-, sondern „nur“ eine Bemühenspflicht. Unternehmen müssen also nicht garantieren, dass in ihren Lieferketten keine menschenrechtlichen oder umweltbezogenen Pflichten verletzt werden. Dies wäre in der Praxis auch überhaupt nicht möglich. Verlangt wird daher „lediglich“, dass bestimmte Sorgfaltspflichten in angemessener Weise umgesetzt werden.
Das LkSG unterscheidet mit Blick auf die Intensität der zu ergreifenden Sorgfaltspflichten drei verschiedene Pflichtenkreise. Je nach Zugriffsmöglichkeit der Unternehmen werden dabei strengere bzw. mildere Anforderungen gestellt. Die höchsten Anforderungen gelten für Unternehmen im eigenen Geschäftsbereich („vor der eigenen Haustür“). Hier bestehen naturgemäß die größten Zugriffs- und Einflussmöglichkeiten. Gegenüber unmittelbaren Zulieferern bestehen regelmäßig auf vertraglicher Basis Gestaltungs- und Kontrollmöglichkeiten. Diese müssen aktiv genutzt werden. Am wenigsten Einfluss und Transparenz besteht im Verhältnis zu mittelbaren Zulieferern. Dementsprechend verlangt das Gesetz hier geringere Anstrengungen. Supply Chain Compliance-Maßnahmen sind nur zu ergreifen, wenn ein besonderer Anlass dies gebietet, dem Unternehmen also tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen, die die Verletzung einer menschenrechts- oder umweltbezogenen Pflicht beim mittelbaren Zulieferer möglich erscheinen lassen.
Welche Sorgfaltspflichten Unternehmen im Einzelnen zu erfüllen haben, legt das Gesetz in §§ 3 bis 10 LkSG fest. Diese sollen im Folgenden überblicksweise erläutert werden.
Zuvörderst werden Unternehmen verpflichtet, ein angemessenes und wirksames Risikomanagement zur Einhaltung der lieferkettenbezogenen Sorgfaltspflichten einzurichten und in allen maßgeblichen Geschäftsabläufen durch angemessene Supply Chain Compliance-Maßnahmen zu verankern. Im Rahmen der Aufbauorganisation des lieferkettenbezogenen Compliance Management Systems ist eine klare (überschneidungsfreie) Zuständigkeit für die Überwachung des Risikomanagement zu schaffen, zum Beispiel durch Benennung eines Menschenrechtsbeauftragten. Die Geschäftsleitung muss sich zudem regelmäßig (mindestens einmal jährlich) und anlassbezogen über die Arbeit des Menschenrechtsbeauftragten Bericht erstatten lassen.
Mit der einmaligen Einrichtung des Risikomanagements ist es nicht getan. Lieferketten sind dynamisch, sowohl die Verhältnisse im eigenen Unternehmen als auch jene bei Zulieferern sind variabel. Um etwaigen nachteiligen Veränderungen für menschenrechts- und umweltbezogene Schutzgüter – sowohl im eigenen Geschäftsbereich als auch bei unmittelbaren Zulieferern – frühzeitig begegnen zu können, müssen Unternehmen daher regelmäßig (einmal im Jahr) und anlassbezogen eine angemessene Risikoanalyse durchführen.
Ferner verlangt das LkSG, dass Unternehmen eine Grundsatzerklärung über ihre Menschenrechtsstrategie abgeben. Diese Grundsatzerklärung muss dabei bestimmte Mindestbestandteile enthalten, namentlich:
Eine Beschreibung des Verfahrens, mit dem das Unternehmen seine Sorgfaltspflichten erfüllt
Die im Rahmen der Risikoanalyse festgestellten prioritären Risiken
Die auf Grundlage der Risikoanalyse formulierten Erwartungen sowohl an die eigenen Beschäftigten als auch die Zulieferer des Unternehmens
Im Falle der Feststellung von Risiken im eigenen Geschäftsbereich oder bei unmittelbaren Zulieferern haben Unternehmen sodann bestimmte Präventionsmaßnahmen zu ergreifen. Je nachdem, wo die Risiken im Einzelnen festgestellt werden, sieht das Gesetz unterschiedliche Maßnahmen vor. Zu den wesentlichen Präventionsmaßnahmen im eigenen Geschäftsbereich zählen insbesondere die Entwicklung und Implementierung von geeigneten Beschaffungsstrategien und Einkaufspraktiken sowie die Durchführung von Mitarbeiterschulungen und risikobasierten Kontrollen. Stellt das Unternehmen Risiken bei einem unmittelbaren Zulieferer fest, ist dem insbesondere auf vertraglicher Ebene zu begegnen, etwa durch Vereinbarung eines Lieferantenverhaltenskodexes sowie einer „Weitergabeklausel“, aber auch durch jährliche bzw. anlassbezogene Kontrollen (Ortsbesichtigungen sowie Befragung von Mitarbeitern).
Sofern nicht nur ein Risiko festgestellt wird, sondern bereits die Verletzung einer menschenrechts- oder umweltbezogenen Pflicht (zum Beispiel Verstöße gegen Arbeitsschutzstandards oder Mindestlohnvorgaben) im eigenen Geschäftsbereich oder bei einem unmittelbaren Zulieferer eingetreten ist oder zumindest unmittelbar bevorsteht, müssen Unternehmen unverzüglich angemessene Abhilfemaßnahmen ergreifen, um die Verletzung zu verhindern, zu beenden oder das Ausmaß der Verletzung zu minimieren. Das Gesetz sieht dabei unterschiedliche Maßnahmen vor, die von der Erstellung eines Konzepts zur Beendigung oder Minimierung der Verletzung bis hin zum Abbruch der Geschäftsbeziehung reichen können.
Unabhängig von den anlassbezogenen Präventions- und Abhilfemaßnahmen haben Unternehmen ein angemessenes Beschwerdeverfahren einzurichten. Hierbei handelt es sich letztlich um nichts anderes als ein auf die Lieferkette von Unternehmen ausgerichtetes Hinweisgebersystem. Dieses soll grundsätzlich jedermann offenstehen, der durch das wirtschaftliche Handeln des Unternehmens selbst oder eines unmittelbaren Zulieferers in seinen geschützten Rechtsgütern tangiert wird. Allerdings erstreckt das Gesetz den Kreis potenzieller Hinweisgeber auch auf Personen aus dem Umfeld mittelbarer Zulieferer. Wird aus dem dortigen Umfeld ein plausibler Hinweis abgegeben, werden regelmäßig anlassbezogene Supply Chain Compliance-Maßnahmen gegenüber dem mittelbaren Zulieferer zu ergreifen sein. Das Beschwerdeverfahren wird damit zur zentralen Informationsquelle für mögliche menschenrechts- oder umweltbezogene Verstöße mittelbarer Zulieferer.
Für die Ausgestaltung des Beschwerdeverfahrens sieht das Gesetz nicht wenige Vorgaben vor (insbesondere die Erstellung und Veröffentlichung einer Verfahrensordnung, bestimmte Anforderungen an die mit der Durchführung des Verfahrens betrauten Personen). Wie immer gilt: Durch eine gründliche Vorbereitung können Unternehmen unnötige Hickups in der Praxis vermeiden.
Neben die „eigentlichen“ (materiellen) Sorgfaltspflichten treten schließlich (formelle) Dokumentations- und Berichtspflichten. Unternehmen müssen die Erfüllung der Sorgfaltspflichten unternehmensintern fortlaufend dokumentieren und die Dokumentation ab ihrer Erstellung mindestens sieben Jahre lang aufbewahren. Auf Basis dieser Dokumentation ist dann einmal im Jahr ein Bericht über die Erfüllung der Sorgfaltspflichten zu erstellen und auf der Internetseite des Unternehmens für sieben Jahren kostenfrei öffentlich zugänglich zu machen.
Dieser Parforceritt durch das Pflichtenkompendium des LkSG macht deutlich, dass das Gesetz insbesondere die Compliance- und Einkaufsabteilungen von Unternehmen vor nicht geringe Herausforderungen stellt. Gerade im Mittelstand müssen Supply Chain Compliance-Prozesse nicht selten erstmalig implementiert oder bestehende Compliance-Prozesse doch erheblich modifiziert werden. Unternehmen werden allerdings nicht umhinkommen, sich diesen praktischen Herausforderungen zu stellen. Denn das LkSG sieht schmerzhafte Sanktionen für Sorgfaltspflichtverstöße vor. So kann das für die Kontrolle und Durchsetzung der Vorgaben des LkSG zuständige Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) gegen Unternehmen mit einem durchschnittlichen Jahresumsatz von mehr als 400 Mio. Euro bei bestimmten Verstößen eine Geldbuße in Höhe von bis zu 2 % des weltweiten Jahresumsatzes verhängen. Unternehmen droht zudem ggfs. ein Ausschluss von Vergabeverfahren für die Dauer von bis zu drei Jahren.
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