Wenn Sie als Patentinhaber den Verdacht hegen, dass Ihr Patent durch Dritte verletzt wurde, kommen Sie um einen Rechtsstreit meist nicht herum. Doch wie läuft dieser Prozess in der gerichtlichen Praxis ab? Wie finden Sie am besten Gehör? Und wann lohnt sich ein solcher Rechtsstreit wirklich für Sie?
Dr. jur. Hubertus Schacht, M.A., ist Richter in der 7. Zivilkammer (Patentstreitkammer) des LG München I und gibt in diesem Beitrag einen Einblick in die gerichtliche Praxis vom Klageeingang bis zum Urteil.
Hinweis: Der Beitrag gibt ausschließlich die persönliche Sichtweise des Autors wieder.
Richter in der 7. Zivilkammer (Patent- und Gebrauchsmusterrecht) und stellv. Vorsitzender | Landgericht München I
Zum ProfilImmanuel Kant (* 22. April 1724 in Königsberg, † 12. Februar 1804 ebenda) war nicht nur einer der bedeutendsten Philosophen der Aufklärung, sondern der gesamten abendländischen Welt. Nach seiner Auffassung lässt sich die Philosophie als Wahrheitssuche des Menschen in 3 Fragen einteilen:
Was kann ich wissen (Erkenntnistheorie)?
Was soll ich tun (Ethik)?
Was darf ich hoffen (Existenzphilosophie)?
Diese Fragen münden in eine finale Frage:
Was ist der Mensch?
Auch ein Patentinhaber hat grundlegende Fragen. Hegt er den Verdacht, dass ein Dritter sein Patent verletzt, wird er zunächst seinen Patent- und/oder Rechtsanwalt beauftragen, diesen Verdacht zu prüfen. Ergibt die Prüfung, dass eine Patentverletzung nicht ausgeschlossen oder gar wahrscheinlich ist, drängen sich ihm 3 Fragen auf, die in eine 4. Frage münden:
Wie gewinne ich den Rechtsstreit?
Wieviel kostet der Rechtsstreit?
Wie lange dauert der Rechtsstreit?
Und schließlich:
Lohnt sich der Rechtsstreit?
Dem potenziellen Patentverletzer stellen sich spätestens in dem Moment, in dem er vom Patentinhaber abgemahnt oder verklagt wurde, dieselben Fragen. Wie in der Philosophie gibt es auf diese Fragen keine eindeutigen, mathematisch berechenbaren Antworten – abgesehen vielleicht von der Kostenfrage.
Durch ein verbessertes Verständnis der Abläufe eines Patentverletzungsstreits bei Gericht kann jedoch eine Annäherung erfolgen. Diese soll nachfolgend anhand der Tätigkeit der Patentstreitkammern des LG München I unternommen werden:
Die Patentverletzungsgerichte in Deutschland bestehen ausschließlich aus Berufsrichtern bzw. Berufsrichterinnern. Diese sind Volljuristen und keine Techniker. Ein wesentlicher Faktor für den Erfolg einer Partei ist es daher, die mitunter technisch höchst komplexen Sachverhalte dem Gericht so darzustellen, dass das Gericht sie versteht und nachvollziehen kann. Dabei ist die Klagepartei grundsätzlich noch mehr gefordert, die technisch zwar interessierten, aber eben nicht technisch ausgebildeten Richter von ihrer Argumentation zu überzeugen. Eine für den Juristen verständliche Argumentation ist auch deshalb im Interesse der Parteien, weil die Verletzungsgerichte bestrebt sind, die Fälle ohne kostenverursachende Sachverständigengutachten zu entscheiden. Ob ihre Argumentation bei Gericht verfängt, können die Parteien bei den Patentstreitkammern des LG München I frühzeitig erkennen, weil dort in der Regel 2 Termine im Rahmen des sogenannten „Münchner Verfahrens“ stattfinden. Im ersten Termin werden die Fragen der Auslegung und der Verletzung auf der Grundlage des Parteivortrags in Klage und Klageerwiderung diskutiert. Im Anschluss haben die Parteien die Gelegenheit mit je einem weiteren Schriftsatz weiter vorzutragen und auf die vorläufige Auffassung des Gerichts zu reagieren. Im zweiten Termin werden hauptsächlich die Fragen des Bestands des Streitpatents erörtert. Zwischen den Terminen bietet sich auch die Gelegenheit, ggf. Vergleichsgespräche auf der Grundlage der vorläufigen Meinung des Gerichts zu führen.
Die Kosten des Rechtsstreits bemessen sich nach dem Streitwert, der vom Gericht nach freiem Ermessen festgesetzt wird. „Freies Ermessen“ bedeutet nicht willkürlich. Grundlage für die Streitwertfestsetzung ist der Parteivortrag. In Patentverletzungsstreitigkeiten wird regelmäßig für eine auf Unterlassung, Auskunft, Rückruf und Schadensersatzfeststellung gerichtete Klage ein Streitwert zwischen 250.000 EUR und 500.000 EUR festgesetzt. Bei besonderen Patenten oder angegriffenen Produkten sind auch durchaus höhere Streitwerte jenseits der 1 Million Euro nicht unüblich. Entsprechend des vom Gericht festgesetzten Streitwerts bemessen sich die Kosten für das Gericht und die gesetzlichen Anwaltsgebühren (RVG). Davon unberührt sind Anwaltshonorare, welche die Parteien aufgrund gesonderter Regelung mit ihren Prozessvertretern vereinbart haben.
Daneben sind ggf. die Kosten eines parallelen Nichtigkeitsverfahrens zu berücksichtigen.
Die Patentstreitkammern des LG München I haben sich zum Ziel gesetzt, die Verletzungsverfahren innerhalb eines Zeitraums von 12 bis 15 Monaten zu entscheiden. Das ist auch deshalb möglich, weil regelmäßig keine Sachverständigengutachten eingeholt werden. In Zeiten besonders hoher Auslastung der Kammern kann es mitunter zu längeren Verfahrensdauern kommen. Dabei sind die Patentstreitkammern bis zu einem gewissen Maß auch von der Mitwirkung der Parteien abhängig. Bittet sich etwa der Kläger lange Schriftsatzfristen aus oder lässt er sich mit der Einzahlung der Gerichtsgebühren viel Zeit darf er sich nicht wundern, wenn das Verfahren länger dauert. Auch Schwierigkeiten bei der Zustellung im Ausland oder erst anzufertigende Übersetzungen der Klage können einen Rechtsstreit verzögern.
Diese Frage können nur die Parteien für sich unter Abwägung aller Umstände des jeweiligen Einzelfalls beurteilen.
Die Patentrichterinnen und -richter des LG München I sind jedenfalls stets bestrebt, in einem fairen, transparenten und vorhersehbaren Verfahren die sowohl technisch als auch rechtlich zutreffende Entscheidung zu treffen.
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