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Erst die Corona-Pandemie, nun Ukraine-Krieg, Energiekrise und Inflation. Eine wirtschaftliche Erholung scheint momentan nicht denkbar zu sein. Auch an der Immobilienwirtschaft gehen diese Krisen nicht spurlos vorbei.
Im Interview verrät Folker Hellmeyer, Chefvolkswirt bei der Netfonds AG und Bestseller-Autor, mit welchen Herausforderungen die Immobilienwirtschaft in der Krise umgehen muss – und wann ein Ende in Sicht sein könnte.
Herr Hellmeyer, Sie sind Chefvolkswirt bei der Netfonds AG und somit der perfekte Ansprechpartner für volkswirtschaftliche Auswirkungen der aktuellen Herausforderungen. Heute möchten wir besonders die Immobilienwirtschaft betrachten. Diese steht aktuell vor zahlreichen Herausforderungen, wie dem Ukraine-Konflikt, der hohen Inflation, der drohenden Energiekrise und den immer noch andauernden Auswirkungen der Corona-Pandemie.
Wie schätzen Sie die Zukunft der Immobilienwirtschaft in diesen Krisenzeiten ein?
Die Probleme, denen wir heute ausgesetzt sind, sind einmalig in der Historie der Bundesrepublik. Dabei ist die Bedrohung durch die Corona-Pandemie in meinen Augen zunehmend unwesentlich. Entscheidend ist die Frage, wie sich der Ukraine-Konflikt weiterentwickelt, denn genau das Thema forciert die Entwicklungen an Energie- und Rohstoffmärkten und in weiterer Folge der Inflation. Die Ukraine-Krise ist die Ursache, die das Vertrauen in der Gesamtwirtschaft und damit auch am Immobilienmarkt erodiert. Exemplarisch darf ich auf eine Umfrage des GdW verweisen. Laut Umfrage des Spitzenverbands GdW stehe jedes dritte sozial orientierte Wohnungsunternehmen (stehen für 30 % aller Mietwohnungen in Deutschland) durch Insolvenz wegen der Energiepreise (Steigerung von 200 bis 300 %) vor dem Ruin. 38 % der Unternehmen bräuchten staatliche Hilfen, weil sie die Vorfinanzierung der Gaspreise aus eigener Liquidität nicht leisten könnten.
Je länger die Krise andauert, desto höher werden die Schäden in der Gesamtwirtschaft und der Immobilienwirtschaft. Ich sehe den Immobilienmarkt mit der Gesamtwirtschaft eng verzahnt. Zusätzlich spielt das Risiko der Verarmung der Gesellschaft durch Inflation und nicht entsprechende Lohnerhöhungen oder Anpassung der staatlichen Leistungen eine entscheidende Rolle in diesem Sektor.
Ergo müsste Ihre Frage lauten, wann sich ein Deeskalationsmodus in der Ukraine-Krise einstellt. Bestenfalls wird das bezüglich verfügbarer Informationen am Ende des kommenden Winters sein. Anschließend sollte der deutsche Immobilienmarkt in einer pauschalen Gesamtbetrachtung von Stabilität geprägt sein.
Die Probleme, denen wir heute ausgesetzt sind, sind einmalig in der Historie der Bundesrepublik.
Die aktuelle Inflation bereitet vielen Unternehmen und Privatpersonen große Sorgen. Welche (weitreichenden) Folgen kommen hierdurch auf die Immobilienbranche zu?
Die Inflation bedingt aktuell merkliche Wohlstandsverluste. Die Wohlstandsverluste führen zu einer Verunsicherung in der Wirtschaft und bei privaten Haushalten. Ein Teil der Investitionsvorhaben wird vor diesem Hintergrund nicht umgesetzt oder aufgeschoben. Das gilt auch für den Immobiliensektor. Hier droht ein Szenario, dass es perspektivisch zu Zwangsverkäufen kommen kann, die sich belastend auf das Preisniveau am Immobilienmarkt auswirken können. Entscheidend ist und bleibt die Frage, wann sich die Stresszustände, die sich aus der Ukraine-Krise ergeben, auflösen.
Auch die drohende Energiekrise verunsichert viele Menschen. Welche Maßnahmen sollten Ihrer Meinung nach ergriffen werden, damit sich die Immobilienbranche dieser Herausforderung erfolgreich stellen kann?
Die Immobilienbranche kann nichts an der Energiekrise ändern. Das ist Aufgabe der Politik. Die Immobilienbranche ist gut beraten, zukunftsorientierte Energietechnik in der Immobilienwirtschaft zu forcieren, um Angebote zu unterbreiten, die dem Problem der erhöhten Energiepreise entgegenwirkt. Gleichzeitig sollte der Fokus auf Bauprojekten liegen, die vor dem aktuellen Hintergrund rückläufigen Wohlstands in Breite und Tiefe erschwinglich sind. Dazu bedarf es eines Schulterschlusses mit der Politik im Rahmen von weiteren Bauförderprogrammen.
Die Corona-Pandemie hat vieles verändert – vor allem die Arbeitskultur vieler Menschen durch das Homeoffice. Was viele Investoren und Projektentwickler interessieren dürfte: Wie sehen Sie die Zukunft der Büroimmobilien? Haben klassische Büroimmobilien bald ausgedient?
So weit gehe ich nicht. Es geht heute immer mehr um smartes Arbeiten. Flexibilität steht im Mittelpunkt. Homeoffice wird in Teilen bleiben, aber das Büro hat nicht ausgedient. Es wird anders. Wenn man sich die Situation in Unternehmen anschaut, ist die Haltung zum Thema Homeoffice heterogen.
Was braucht es Ihrer Meinung nach, um volkswirtschaftlich wieder ins Gleichgewicht zu kommen?
In erster Linie brauchen wir kurzfristig in der Ukraine-Krise einen Pfad hin zur Deeskalation, dass die Kunst der Diplomatie eine Chance erhält. Das würde das Gesamtbild und das Bild in der Immobilienwirtschaft zunächst nachhaltig positiv beeinflussen.
Grundsätzlich brauchen wir mittel- und langfristig global eine Neuorientierung. Die positive Entwicklung seit 1944 (Bretton Woods) basiert auf der „Law based Order“, also der Ordnung, die internationale Gesetze und Verträge anerkennt, denn diese Gesetze und Verträge sind von allen Teilnehmern an internationalen Institutionen, Gesetzes- und Regelwerken und Verträgen freiwillig anerkannt. Der Westen versucht seit mehr als zehn Jahren, die „Rule based Order“ unter Beschädigung der „Law based Order“ (u. a. Völkerrechtsverletzungen des Westens ungeahndet/USA - WTO) auf Basis der eigenen Moral zu etablieren. Es gibt aber nicht nur die westliche Moral. Es gibt eine muslimische Moral, eine konfuzianische oder auch eine russisch-orthodoxe Moral neben weiteren. Die regelbasierte Ordnung impliziert ein Unterordnungsprinzip (totalitär), denn wer gibt die Regeln ultimativ vor, es ist der Westen. Das wird global nicht mehr akzeptiert. Die aufstrebenden Länder, die 1980 nur 20 % an der Weltwirtschaftsleistung hielten, stehen jetzt für circa 65 % der Weltwirtschaftsleistung (Basis Kaufkraftparität). Sie wachsen doppelt so schnell wie der Westen. Sie stellen circa 88 % der Weltbevölkerung. Sie wollen ein multilaterales und kein unilaterales System.
Sollte es zum Konsens einer multilateralen Ordnung im Rahmen einer „Law based Order“ kommen, würde sich das globale Konjunktur- und Strukturbild massiv aufhellen, denn das aktuell angeschlagene Vertrauen als Grundlage für Investitionen würde wiederbelebt. Dann wirkten nicht nur die endogenen Wirtschaftskräfte, sondern zusätzlich die Projekte der global verfügten Infrastrukturprogramme (bisher marginal in Umsetzung) als auch das Projekt der „Grünen Transition“ (nicht umgesetzt) mit markanten nationalen, aber auch internationalen Wohlstandseffekten und entsprechenden Wirkungen auf die Immobilienmärkte.
Welche volkswirtschaftlichen Chancen sehen Sie als realistisch für die Immobilienwirtschaft in den kommenden Jahren?
Sofern die Ukraine-Krise sich fortsetzt, wird es voraussichtlich bis 2025 ein rauer Ritt, da erst dann die energetische Versorgungssicherheit in Deutschland hinsichtlich aktueller Informationen etabliert wäre, belastbare Plandaten damit verfügbar wären und sich ein neues Einkommensgleichgewicht eingestellt hätte.
Im Falle einer Fokussierung auf die Kunst der Diplomatie im Ukraine-Konflikt sind Hoffnungen auf eine vorzeitige Entspannung gewährleistet.
Am 23. Januar 2020 trafen sich zum 12. Mal Vertreter aus Politik, Immobilienwirtschaft und Finanzwesen in München, um neue Immobilienprojekte, ungenutzte Bauflächen sowie die Vorstellungen der Politik zu diskutieren und sich auf zukünftige Herausforderungen vorzubereiten. Die wichtigsten Erkenntnisse haben wir für Sie zusammengefasst!
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