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Die sogenannte Computer Generated Imagery – kurz CGI – hält vermehrt Einzug in die Content-Produktionen von Herstellern. Aber warum? Was verspricht die Technologie dem deutschen Handel? Wie können Unternehmen und Kunden profitieren?
Tobias Nientiedt ist als Principal für CGI und Digital Content Production bei OTTO tätig und visualisiert bereits seit vielen Jahren seine kreativen Ideen mit Hilfe der 3D-Technologie CGI. Im folgenden Interview verrät der Referent des diesjährigen Handelsmarken Forums, wie CGI die Content-Produktion in absehbarer Zeit revolutionieren wird und wie Sie deren Möglichkeiten auch für Ihr Unternehmen nutzen können.
Herr Nientiedt, CGI hält vermehrt Einzug in die Content-Produktion im Handel. Was verspricht man sich davon?
Disruption ist derzeit durch die fortschreitende Digitalisierung in nahezu allen Bereichen vorzufinden. CGI steht dabei sozusagen für die Volldigitalisierung der Content-Produktion. In der Vergangenheit waren Teile der Content-Produktion digitalisiert – zum Beispiel die Digitalkameras, die Entwicklung der Bilder in Programmen wie Capture One oder Lightroom sowie die abschließende Bildbearbeitung in PhotoShop.
Über die 3D-Technologie CGI kann jetzt die gesamte Produktion vom Start bis zur Auslieferung des Contents digitalisiert werden. Das Schöne daran ist, dass eine digitalisierte Variante eines Content-Produkts meist auch automatisierbar ist und dadurch skalierbar wird – und das ist natürlich gerade im Kontext von E-Commerce und skalierbaren Geschäftsmodellen besonders interessant.
Welchen Mehrwert bietet die Technologie dabei konkret?
Im CGI-Kontext betrachtet man die Form und das Material eines Produkts getrennt voneinander. In der Realität ist das nicht möglich. Hier besitzt jede wahrnehmbare Form auch immer ein Material.
Durch die getrennte Betrachtungsweise von Form und Material ist es möglich, den Prozess der Materialzuweisung und der Berechnung des Bildes dahingehend zu automatisieren, dass nur noch Aufwände für die einmalige Erstellung der Form und des Materials entstehen, nicht aber für die Bilderstellung oder die Berechnung der Derivate.
Ein Beispiel dazu ist die Content-Produktion für eine Küche, die es in zehn verschiedenen Korpussen, zehn verschiedenen Fronten, mit zehn unterschiedlichen Griffen und zehn unterschiedlichen Arbeitsplatten gibt. Wenn man alle möglichen Kombinationen produzieren möchte, müsste man mit der klassischer Fotografie 100.000 unterschiedliche Küchen produzieren, in ein Fotostudio transportieren, sie dort aufbauen und fotografieren. Mit CGI erstelle ich einmal die Form der Küche und digitalisiere die verschiedenen Materialien, die Berechnung der 100.000 unterschiedlichen Küchenbilder übernimmt der Computer vollautomatisiert.
Das spart viel Zeit und Geld und verkürzt noch die „time to market“.
Sie haben die Küchenplanung schon angesprochen. Hätten Sie ein weiteres Beispiel, das die Vorteile von CGI im Handel klar werden lässt?
Nehmen wir ein Sofa als Beispiel. In der Vergangenheit gab es immer das gleiche Problem: Fotografiere ich ein Sofa im Fotostudio, so hat dies genau ein Material und eine Farbe. Oftmals ist es aber so, dass es jedes Sofa-Modell in verschiedenen Materialien gibt, zum Beispiel in Leder und Stoff, und diese dann in unterschiedlichen Farben. Da merkt man schnell, wie viele Produktarten daraus entstehen können und wie viele Sofas einzeln fotografiert werden müssten. Über Programme, wie zum Beispiel Adobe PhotoShop, könnten Sie zwar die Farbe des Sofas ändern, um weitere Varianten zu zeigen, sobald Sie aber das Material ändern wollen, wird die Bildbearbeitung schon schwierig.
Über CGI können Sie nun einmalig die Form des Sofas modellieren und anschließend über den Computer automatisiert Ihre zuvor digitalisierten Materialien zuweisen sowie Bilder davon berechnen lassen. So erstellen Sie nach und nach je ein Bild von ein und derselben Sofa-Form, aber jeweils mit einem anderen Material und einer anderen Farbe – und das nicht nur im Fotostudio, sondern zum Beispiel auch im Raumkontext. Das heißt, auch die optischen Interaktionen, die mit dem Sofa einhergehen, wie eine Reflexion in der Fensterscheibe oder der Chromvase auf dem Tisch neben dem Sofa, werden in der Bildberechnung automatisch richtig mitberechnet, sodass also alle Interaktionen des Produktes im Raum korrekt dargestellt werden.
Ist CGI im Handel noch anders einsetzbar als bei Produktbildern?
Ich muss mit CGI nicht zwingend nur einzelne Bilder produzieren. CGI bedeutet erstmal nur, dass ich ein digitales Abbild meines Originalproduktes habe. Ich kann davon Bilder und Animationen generieren, aber auch für Augmented und Virtual Reality einsetzen sowie 3D-Objekte erstellen, die der Kunde selbständig auf der Website drehen und anschauen kann.
Diese ganzen neuartigen Touchpoints sind für Händler nur durch die 3D-Technologie umsetzbar. In naher Zukunft sehe ich auch keine Technologie, die diese ablösen könnte. Daher sollte CGI nicht nur als kostengünstige Methode der Content-Produktion betrachtet werden, sondern als neue Form der Interaktion zwischen Kunde und Produkt. Viele Optionen, die CGI dabei bietet, wie die angesprochene Virtual Reality, stecken bislang aber noch in den Kinderschuhen. Es gibt da noch wenige Use Cases, doch die Möglichkeiten sind enorm und das Thema wird an Relevanz gewinnen.
Ein sehr schönes Beispiel dazu ist die Gaming-Branche. Wenn ich nicht mehr über ein Joypad und einen zweidimensionalen Screen mit dem Spiel interagiere, sondern das Gefühl habe, mich wirklich im Spiel zu befinden und mit den Charakteren oder der Umgebung interagieren kann, ist das eine ganz andere Qualität.
In welchen Bereichen werden wir in absehbarer Zeit noch von CGI hören? Und was erhoffen Sie sich für die Zukunft?
Ich bin mir sicher, dass es in Zukunft beispielsweise virtuelle Möbelhäuser geben wird, durch die ich laufen und in denen ich die Möbelstücke in Interaktion erleben kann. Das ist eine andere Qualität des Erlebens als bisher, wenn ich Konstellationen und Stile der Möbelstücke direkt ändern kann, anstatt nur ein starres Bild vor Augen zu haben. Erste Virtual Reality Tests laufen dazu und wir schauen immer, welche Möglichkeiten sich da noch bieten.
Ich glaube auch daran, dass der digitale Zwilling eine immer größere Bedeutung erhalten wird. Schließlich wird E-Commerce nicht nur im Zuge der aktuellen Corona-Pandemie immer wichtiger, das galt vorher schon, Corona hat es einfach nur beschleunigt. Und im E-Commerce ist CGI einfach eine tolle Möglichkeit, um mit einem Produkt zu interagieren.
Herr Nientiedt, was raten Sie Unternehmen, die mit CGI starten möchten? Welche Vorbereitung ist notwendig und wann macht es wirklich Sinn, auf CGI zu setzen?
Ich kann jedem nur empfehlen, die Technologie einfach mal auszuprobieren. Natürlich wird sich momentan noch nicht jedes Produkt dafür eignen. Umso mehr Varianten es von einem Produkt gibt, desto sinnvoller ist der Einsatz von CGI, weil sich der Initialaufwand für die Erstellung des digitalen Zwillings auf mehrere Derivate umlegt. Außerdem sollte man im Hintergrund behalten, dass CGI ressourcenschonend ist. Die Produktion des Fotomusters entfällt gänzlich und auch die Aufwände für Logistik und Versand entfallen komplett.
Wir haben im letzten Jahr unseren auf Home & Living spezialisierten CGI Produktionsservice gelauncht, über den jeder Hersteller oder Händler Content produzieren lassen kann. Das ist eine gute Möglichkeit, um mit CGI erste Erfahrungen zu sammeln, ohne dass man gleich Mitarbeiter anstellen muss. Wenn man dann Potenzial in der Technologie für die eigenen Produkte sieht, muss man sich überlegen ob sich die Gründung eines eigenen Teams lohnt oder ob man weiterhin einen Service nutzen möchte.
Das hängt sicher maßgeblich von den vorhandenen Kompetenzen im Unternehmen ab, oder?
Auf jeden Fall. Die meisten Unternehmen in der Möbelbranche haben sich zum Beispiel aus meiner Erfahrung heraus noch nicht mit CGI beschäftigt, weil es früher einfach noch nicht benötigt wurde. Das sieht in anderen Bereichen wie der Automobilbranche sicher anders aus, dort sind die entsprechenden Kompetenzen vorhanden.
Deshalb: Erstmal ausprobieren, dabei einfach denken und nicht gleich alle Möglichkeiten, die man bisher kennt, versuchen umzusetzen. Machen Sie sich mit der Technologie vertraut! Im nächsten Schritt ist dann besonders wichtig, nicht einfach Bestehendes zu kopieren, sondern neu zu denken: Was war bisher nicht möglich und könnte mit CGI umgesetzt werden?
Nehmen wir ein Sofa mit Ausziehfunktion als Beispiel. Um diese Funktion zu zeigen, braucht es in der Realität einen Menschen, der das am Produkt zeigt und dann können sie diese Aktion fotografieren oder filmen. Mit CGI kann sich das Sofa sozusagen selbst ausziehen, es können also Funktionen in Bewegung gezeigt werden, die bisher nicht möglich waren. Digitalisierung ist eben nicht der digitale Nachbau von bestehenden Prozessen, sondern das Entdecken und Nutzen von neuem Potenzial.
Herr Nientiedt, schauen wir zum Abschluss auf das Handelsmarken Forum 2021. Worauf dürfen sich die Teilnehmer in Ihrem Vortrag freuen?
Ich werde vor Ort die Idee hinter CGI erläutern und die Funktionsweise an einigen Beispielen demonstrieren. Es ist wichtig, dass die Teilnehmer die Vorteile der Technologie für sich erkennen. Und dann zeige ich selbstverständlich auch, wie andere Unternehmen die Möglichkeiten schon nutzen und welche Trends sich für die Zukunft abzeichnen. Es wird also auf jeden Fall spannend.
2020 trafen sich zum 5. Mal Vertreter aus Industrie und Handel, um aktuelle Trends im Private-Label-Segment zu diskutieren und sich auf zukünftige Herausforderungen für den Handel vorzubereiten. Neben Rossmann, IKEA oder Nestlé kamen auch Startups sowie die Bereiche Baumarkt oder Pharma zu Wort. Die wichtigsten Erkenntnisse haben wir für Sie zusammengefasst!
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